Swiss Software Industry Survey misst Swico der Branche jährlich den Puls. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage und die Innovationsfähigkeit der Schweizer Softwareindustrie?
Die jährlichen SSIS Surveys und der Swico ICT Index zeigen, dass die Branche stark wächst. Die Schweizer Softwareindustrie ist hochdynamisch und hält mit der technologischen Entwicklung Schritt. Sie adaptiert Innovationen schnell und hat sich in einem schwierigen Umfeld bisher als sehr resilient erwiesen. Alle grossen Krisen der letzten Jahre hat sie gut bewältigt – von der Dotcom-Blase über die Finanzkrise bis hin zum starken Franken und Corona. Diese Stärke liegt meiner Ansicht nach am ausgeprägten Unternehmertum und der Art, wie die Firmen gewachsen sind: Die meisten haben als Start-up angefangen, ein grosses Wachstum durchgemacht und sich dadurch organisatorisch gut aufgestellt. Ein weiterer Grund für die grosse Dynamik liegt bei den Kunden. Diese sind in der Schweiz innovationsfreudig und fordern diese Innovationskraft von Anbietern von Individualsoftware.
Ich möchte der Schweizer Softwarebranche darum grosses Lob aussprechen für ihre Dynamik.
In der Erhebung 2024 waren die Prognosen zu Umsatz- und Mitarbeiterwachstum weniger optimistisch als in den Jahren zuvor. Was macht der Schweizer Softwareindustrie zu schaffen?
Die Softwareindustrie wächst nicht aus sich selbst heraus, sondern ist abhängig von der Gesamtwirtschaft. Und die schwächelt im Moment. Vor allem der Export nach Deutschland hat in den letzten Monaten stark nachgelassen. Hier ist zu hoffen, dass es nach dem Regierungswechsel wieder aufwärts geht mit der Wirtschaft. Was wir noch nicht genau abschätzen können, sind die Auswirkungen der globalen Entwicklungen, namentlich Trumps Zoll- und Handelspolitik sowie die geopolitischen Verwerfungen. Ein weiterer Punkt ist, dass Firmen vermehrt auf Inhousing setzen. Sie bauen eigene Kompetenzen auf und entwickeln gewisse Sachen selbst. Dadurch erhalten Softwareanbieter weniger Aufträge.
Wie wichtig ist der Export?
Der Export ist insgesamt klein und für die Schweizer Softwarebranche nicht matchentscheidend: Schweizer Hersteller von Standardsoftware erzielen etwas über 11 Prozent ihres Umsatzes im Ausland, drei Viertel davon in Deutschland. Bei Individualsoftware ist es sogar noch weniger. Immerhin: Im Vergleich zur letzten Erhebung stieg der Export um ein halbes Prozent, trotz der eher schwachen deutschen Wirtschaft.
Welche Trends und Entwicklungen sehen Sie in den nächsten Jahren?
KI in all ihren Facetten wird in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle spielen. Insbesondere der Einsatz von generativer KI und Large Language Models auf Unternehmensebene wird stark zunehmen. Damit einher geht die Notwendigkeit, Datenbestände zu bereinigen und zu konsolidieren: Strukturierte, saubere Daten bleiben die Grundlage für erfolgreiche KI-Projekte. Es wird Aufgabe unserer Branche sein, die Wirtschaft bei der schnellen Adaption zu unterstützen. Aktuell sind viele der verwendeten Legacy- Systeme noch gut, aber in den nächsten Jahren werden viele Lifecycles enden. Branchen wie Pharma, Versicherungen und Krankenkassen, aber auch der Bund werden zu den grössten Auftraggebern für Individualsoftware gehören. Weitere wichtige Themen bleiben die Cloud-Migration und in diesem Zusammenhang auch die Thematik der digitalen Souveränität sowie die Digitalisierung der Verwaltung.
Wie weit ist die Industrie selbst bei der Adaption von KI? Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz aus Sicht von Swico für die Branche?
KI wird weder alle Weltprobleme lösen noch uns in den Abgrund ziehen. Aber sie verändert unsere Arbeitswelt fundamental und mit grosser Geschwindigkeit. Unsere Branche ist dabei logischerweise mittendrin. Wie weit deren Integration in die Routinen, Prozesse und Strukturen der Schweizer Softwarehersteller vorangeschritten ist, haben wir im Swiss Software Industry Survey vom Oktober 2024 untersucht. Vor einigen Monaten herrschte in der Branche eine recht grosse Zurückhaltung. 58 Prozent der Unternehmen gaben an, KI nicht mit ihren eigenen Daten zu trainieren. Zudem haben 86,2 Prozent der KINutzer diese Technologie erst in den letzten 18 Monaten eingeführt. Am weitesten verbreitet ist KI mit 47 Prozent bei der Softwareentwicklung selbst, gefolgt von der Wartung (41,5 Prozent), dem Design (31,7 Prozent), dem Testing (29,2 Prozent) und der Analyse (25,2 Prozent). Nachholbedarf besteht bei der Integration und der Planung: 44,8 Prozent resp. 43,1 Prozent der Softwarefirmen sind in diesen Anwendungsbereichen nicht mit KI-Technologien vertraut. Persönlich denke ich, dass diese Zahlen heute wohl ein bisschen anders aussehen würden.
Und die Governance? Wie weit ist die Schweizer Softwareindustrie bei formellen KI-Richtlinien?
Schweizer Softwareunternehmen nehmen hier eher eine abwartende Haltung ein. Zwar sind informelle Governance- Praktiken verbreitet wie die Förderung des Austauschs zwischen Abteilungen oder die Schulung von Mitarbeitenden. Aber formelle Praktiken wie klar definierte Zuständigkeiten sind noch eher selten. Auch hier kann ich aus dem aktuellen SSIS zitieren: Ein Drittel stellt sicher, dass KI-Einsatz im Einklang mit Unternehmenszielen steht, 16,4 Prozent verfügen über Richtlinien oder Checklisten für die KI-Nutzung und 14,4 Prozent überwachen die Nutzung und den Zugriff auf KI.
Ist diese zurückhaltende Haltung bei der Governance ein Problem? Braucht es Massnahmen vom Gesetzgeber?
Der Markt wird das regeln: Sobald mehr Aufträge kommen, die Adaption voranschreitet und die KI-Governance zu einem Alleinstellungsmerkmal wird, werden Softwarefirmen darauf reagieren.
Geht die Schweiz beim AI Act der EU den richtigen Weg?
Swico unterstützt den aktuellen Kurs des Bundesrates, der auf eine technologieneutrale Regulierung und auf Selbstverantwortung setzt. Ebenfalls unterstützen wir die Ratifikation der KI-Europaratskonvention, sofern diese mit Augenmass und pragmatisch umgesetzt wird. Innovation braucht Freiheit. Klare Spielregeln ja – aber keine überbordende Bürokratie. Swico steht für eine dynamische Digitalwirtschaft und einen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort Schweiz.
Wäre in anderen Bereichen eine stärkere Regulierung nötig – zum Beispiel durch eine verpflichtende und transparente Software Bill of Materials (SBOM)?
Eine SBOM ist im Wesentlichen eine detaillierte Liste aller Bausteine einer Softwareanwendung. Sie enthält Open- Source-Software, Bibliotheken, Frameworks, Versionen und Lizenzen – alle Informationen, die notwendig sind, um die Zusammensetzung einer Software zu verstehen und zu verwalten. Ich denke, dass jedes Unternehmen sowie auch ein Staat seine Lieferkette im Griff haben muss. Aber als liberaler Mensch und als CEO von Swico bin ich grundsätzlich skeptisch, jedes Problem mit einer Regulierung zu lösen. Klare und zielgerichtete Regeln ja, aber keine unnötige Bürokratie und Regulierung, die keinen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Nutzen bringen.
Wie stark macht der Kostendruck der Branche zu schaffen? Wie entwickelt sich das Outsourcing?
Wenn Schweizer Softwarefirmen Teile der Entwicklung auslagern, ist das meist nur noch eine Kostenfrage, keine Frage des Fachkräftemangels mehr. Zum Offshoring – der Verlagerung von Geschäftsprozessen ins Ausland – haben wir allerdings keine spezifischen Zahlen. Beim Outsourcing, der Verlagerung von Prozessen an externe Dienstleister, die natürlich auch im Ausland sein können, liegen Zahlen vor: 56 Prozent nutzen Outsourcing, 44 Prozent der Schweizer Softwarefirmen machen alles inhouse. Wo ausgelagert wird, ist stark kulturell bedingt: Europa ist kulturell und zeitlich näher, in den asiatischen Raum geht man eher weniger.
Welche Rolle spielt Forschung und Entwicklung in der Schweizer Softwareindustrie?
Hier zeigt sich ein gemischtes Bild: Insgesamt sank der Anteil des Umsatzes für Investitionen in Forschung und Entwicklung zwischen 2023 und 2024 von 5,9 auf 4,4 Prozent. Bei den Standardsoftwareherstellern nahmen die Investitionen am stärksten ab, bei Individualsoftwareherstellern stiegen sie hingegen leicht an. Dies reflektiert die unterschiedlichen Marktbedingungen: Während Standardsoftwareanbieter aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit vorsichtiger investieren, sehen Individualsoftwareentwickler weiterhin Wachstumschancen in massgeschneiderten Lösungen.
In den letzten Monaten kündigten viele Länder milliardenschwere KI-Investitionen an, die Schweiz nicht. Verlieren wir den Anschluss?
Die Schweiz ist als Standort grundsätzlich gut positioniert. Die liberale Wirtschaftsordnung, die auf Selbstverantwortung setzt, ist eine Stärke. Zudem haben wir viele kluge Köpfe und Universitäten von Weltrang, die auch in Sachen KI mithalten können. Ich denke, dass die Schweiz somit grundsätzlich gut positioniert ist, von der aktuellen Entwicklung wirtschaftlich und auch gesellschaftlich zu profitieren. Aber das heisst auch, dass wir die Ärmel hochkrempeln müssen und uns nicht auf vermeintlichen Lorbeeren ausruhen dürfen. Andere Länder und Weltregionen schlafen nicht und holen auf. Darum gilt es, am Ball zu bleiben und intelligent zu agieren. Das heisst: keine Industrie- politik, aber innovationsfreundliche Rahmenbedingungen und Anreize, damit aus Innovation auch wirtschaftlicher Wohlstand und gesellschaftlicher Fortschritt wird.
Wie abhängig ist die Schweiz von Big Tech und was bedeutet das für die Softwarebranche?
Diese Abhängigkeit ist heute global – der kann sich auch die Schweiz nicht entziehen. Das gilt aber nicht nur einseitig: Bei verschiedenen Schlüsseltechnologien ist Europa führend. Denken Sie nur an 5G und 6G, Drohnentechnologie oder auch den Bereich der erneuerbaren Energien. Das heisst, dass es gegenseitige Abhängigkeiten gab und weiterhin gibt. Das ist das Wesen der internationalen Arbeitsteilung. Obwohl wir derzeit eine Phase des Protektionismus und von Zöllen erleben, glaube ich an die Marktwirtschaft und an offene Märkte. Ich stelle fest, dass wir in Kategorien denken von Big Tech vs. kleine Softwarefirma. Das bringt uns nicht weiter. Es braucht beides: die grossen Player – aktuell zumeist US-Firmen – und kleinere Firmen. Als Swico vertreten wir beide Kategorien, und das ist eine Stärke des Verbandes und keine Schwäche. Als Schweizer Verband der IT-Branche setzen wir uns dafür ein, dass der Standort Schweiz gestärkt wird und im internationalen Wettbewerb bestehen kann.
Swico engagiert sich für Nachhaltigkeit in der Softwareindustrie. Welche Projekte treiben Sie voran?
Viele Unternehmen unserer Branche sind nach Standards wie ISO, der Internationalen Organisation für Normung, oder EcoVadis zertifiziert. Die Unternehmen haben naturgemäss auch Eigeninteresse, auf Energieeffizienz und ressourcensparende Softwarearchitektur zu achten. Wir weisen allerdings darauf hin, dass auch hier Augenmass gelten soll – gerade bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand. Es ist wichtig, dass Nachhaltigkeitsthemen in den Anforderungen enthalten sind. Aus unserer Sicht macht es aber wenig Sinn, Firmen auszuschliessen, die nicht oder noch nicht zertifiziert sind. Gut möglich, dass damit die bestmögliche Lösung verhindert wird.
Wenn Sie drei Wünsche für die Schweizer Softwareindustrie hätten – welche wären das?
Erstens: dass die Industrie noch stärker als bisher ihre Fachkräfte selbst ausbildet und dabei eng mit Bildungsinstitutionen zusammenarbeitet.
Zweitens: dass die Regulierung dem Grundsatz folgt, nicht spezifische Technologien zu regulieren, sondern technologieneutrale Rahmenbedingungen zu schaffen.
Drittens: dass Politik, Gesellschaft und Wirtschaft sich gegenseitig noch besser unterstützen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. In der Schweiz gibt es keine grossen staatlichen Investitionen wie in Deutschland oder Frankreich. Darum müssen wir gemeinsam unser Potenzial noch besser nutzen.